Im Bauch des Chemie-Riesen
WJ-53-10--Buchcover-COV_Engist_Sache_L
Daniela Engist: «Kleins Grosse Sache». Roman. Klöpfer & Meyer Verlag, Tübingen 2017. 384 Seiten, 25 Euro.
Immer mehr Freiburger suchen Arbeit in Basel und pendeln täglich zwischen beiden Städten. Eine davon war Daniela Engist, 47. Nach Literaturstudium und Promotion arbeitete sie ab 2001 als Kommunikationsmanagerin bei den Basler Chemie-Konzernen Roche und Syngenta. Nach 13 Jahren gab sie ihren gut bezahlten Job auf und widmet sich seither in Freiburg der Literatur.
Ihr erster Roman heisst «Kleins Grosse Sache» – und erzählt aus dem Bauch eines Basler Chemie-Riesen. Dass es sich dabei um den Agrochemie-Konzern Syngenta handelt, muss man als Leser nicht wissen, um an dieser Realsatire viel Freude zu haben. Thema ist nicht die Produktion von Pflanzenschutzmitteln, sondern die Herstellung von Illusion, wie sie in Kommunikationsabteilungen üblich ist. Der Roman ist witzig geschrieben, sprachlich einfallsreich, inhaltlich versiert.
Der Held heißt Harald Klein. In die «Grosse Sache» rutscht der blässliche Jungjournalist aus Schwaben schneller hinein, als er ihr gewachsen ist. Harald Klein, ein Mann des Wortes, soll den Geschäftsberichten, Präsentationen und Pressekonferenzen den letzten Schliff geben. Ausgemustert von seiner großbürgerlichen Freundin Beate – sie will keinen Mann, der unter 8000 Euro verdient – sucht Harald neuen Halt. Da kommen ihm die Weltfirma und die 120 000 Franken Jahreslohn gerade recht. Wird er es schaffen?
Wir bibbern mit Harald, als er den ersten Aktionärsbrief überarbeiten soll und das falsche Datum einsetzt. Wir staunen mit ihm über den Luxus im Konzern: sein erstes eigenes Büro mit USM-Haller-Chic; das gediegene Ausbildungszentrum im steuergünstigen Kanton Zug; das firmeneigene Kunstdepot, der Privat-Jet. Wir lernen mit Harald dazu: die geheimen Codes der Macht, die Ränkespiele auf der Karriereleiter, die «Feuerwerke der Soziofertigkeiten», die Workshops zur Seelenstärkung. Kommunikation, Geist und Spirit – wichtig als Sprit, um den Kapitalismus voranzutreiben.
Der Roman begleitet unseren Helden über drei Jahre. Er beginnt mit Haralds erstem Bürotag gegenüber vom Badischen Bahnhof, und er endet mit einem diabolischen Auftritt des Verwaltungsratspräsidenten im Hochhaus. Je stärker Harald das Treiben durchschaut, desto sinnloser erscheint ihm seine Arbeit. Der Präsident erteilt ihm eine Lektion: Es gibt keine sinnlose Arbeit, weil es keinen Sinn ohne Arbeit gibt. Die letzte Lektion aber erteilt die Realwirtschaft: feindliche Übernahme der Firma durch einen anderen Konzern.
Hier schreibt eine, die den Job hinter sich hat und kollegial bleibt; eine gute Erzählhaltung. Daniela Engist liebt Harald Klein. Sie kann verstehen, warum Klein seine grossen Chefs lieben muss. Und wir verstehen deshalb, wie die Seele im Weltkonzern funktioniert. Das ist Kapitalismuskritik aus erster Hand. Dafür braucht Daniela Engist 380 Seiten; 280 Seiten hätten es auch getan. Alles eine Frage der Ökonomie. Nobody is perfect.
Christine Richard