Bäume in der Wiehre
12Bäume_Scheffelstraße
Bäume sind Lehrmeister des Lebens. Sie wachsen langsam, müssen Wind und Wetter standhalten, sich auch einmal beugen, tun etwas für andere, denn sie spenden Schatten und Sauerstoff, manche Zweige brechen unter der Last von Eis und Schnee. Aber sie wachsen, bis einer sie fällt: Blitz oder Mensch. Manche über 100 Jahre.
In der Wiehre stehen viele alte Bäume. Über erwachsene Bäume freuen sich die Bewohner und lassen sie nur ungern absägen, neue zu pflanzen macht indessen Probleme. So
in der Erwinstraße, wo die Stadtgärtnerei dünnlaubige Gewächse ansiedelte, anstatt bei der zunehmenden Erwärmung der Städte richtiges, Schatten spendendes Laubwerk einzusetzen.
Vor Jahren gedachte ich, vor mein Schlafzimmer in der Scheffelstraße einen Baum zu pflanzen. Als folgsamer Bürger fragte ich beim Städtischen Ordnungsamt an, ob ich das dürfe. Man antwortete, „nicht zuständig“, bitte zum Gartenamt. Dort hielt man sich auch nicht für zuständig, bitte zur Badenova (Gasleitungen?). Die genehmigten  zwar unter Vorbehalt, vorher noch die Telekom fragen wg. Telefonleitungen. Die erlaubte zwar, schickte mich aber erneut zur Badenova wg. Stromleitungen. Die gestattete zwar, verwies mich aber wieder ans Gartenamt und dieses erneut ans Ordnungsamt, das wieder zum Gartenamt, das zwar zustimmte, aber: „Das Pflanzen machen wir“ und zwar gleich die ganze Scheffelstraße. So vergingen 1½ Jahre. Seitdem ist die Scheffelstraße grün, allerdings mit Lücken, denn einzelne Mitbürger sagten: „Wir wollen keinen Baum vor der Tür haben.“ Stattdessen lassen manche im Sommer lieber die Rollläden herunter oder stellen lächerliche Sonnenschirme auf.
Ein majestätischer Mammut-Baum steht in der Erwinstrasse. Er wurde vor über 100 Jahren gepflanzt. Einer sagte kürzlich, dieses Gewächs gehöre nicht hierher. Nur: Wer „gehört“ überhaupt hierher?
Gegenüber befindet sich ein kleiner Vorgarten. Dort stand eine hohe Tanne. Deren Geschichte heißt so: Hier gab es früher kleine Läden. Jeden Morgen ganz früh machte sich Herr M. mit Fahrrad und Anhänger auf, um im Großmarkt das einzukaufen, was es später im Lädchen zu kaufen gab: frisches Obst, Gemüse, Salat usw. Die beiden Geschäftsleute wurden älter, bis ihnen eines Tages eine Woche Urlaub im Schwarzwald möglich war. Diese Zeit muß so schön gewesen sein, dass die beiden eine kleine Tanne von Friedenweiler mitbrachten und sich in den Vorgarten pflanzten. Diese wuchs und war eines Tages 1 m hoch. Ein Mitbewohner erleuchtete sie von nun an im Winter mit elektrischen Kerzen, so dass jedes Jahr ein immer größerer Weihnachtsbaum erstrahlte, bis er ≥10 m hoch war. Dann zogen andere Menschen ein, die sagten: „Dieser Baum gehört nicht hierher.“ Als das Ehepaar gestorben war, wurde der Baum um des lieben Friedens willen gefällt. Die Erinnerung ist jedoch geblieben. Ein ähnliches Schicksal ereilte einen Ahorn, der gern vor der aggressiven Sonne geschützt und schönen (Sing-)Vögeln ihren Lebensraum geboten hätte. Er durfte nicht wachsen, stattdessen wuchs Überheblichkeit, zum Glück nicht bei allen Wiehremern.
Dietrich von Heymann