Manchmal eröffnet schon ein einziger Straßenzug eine eigene kleine Welt, weil er eine Fülle von Geschichten und Besonderheiten zu bieten hat. Zu diesen Straßen, denen man zwar ihre quirlige Gegenwart, aber nicht unbedingt ihre geschichtsträchtige Vergangenheit ansieht, gehört auch die Brombergstraße in der Mittelwiehre.

Man könnte die Straßen der Wiehre in drei Kategorien einteilen: in die erste gehören einige wenige, noch auf das alte, spät.barocke Wegesystem der dörfliche Wiehre zurückgehende Straßen, die man alleine schon daran erkennt, dass sie den Stadtteil nicht schnurgerade durchziehen, sondern mit leichten Kurven und Unregelmäßigkeiten. Und in denen sich mit etwas Glück noch Reste älterer Bebauung entdecken lassen. Im Gegensatz zu diesen ist die Wiehre heute vor allem von rasterartig angelegten, geraden Straßenzügen geprägt. Sie stammen aus der Zeit nach 1870, in der man das einstige Dorf zu einer vornehmen „Vorstadt“ Freiburgs umzugestalten begann. Und als dritte Kategorie gibt es noch einige wenige Straßen, die zwar heute begradigt sind, aber ebenfalls auf die dörfliche Vergangenheit des Stadtteils zurückgehen. Zu diesen gehören beispielsweise die Turnsee- und die Brombergstraße.

Beide sind bereits im sogenannten Lerch-Plan von 1852 abgebildet. In dieser Zeit war die Wiehre noch weit entfernt vom Charakter einer Vorstadt und bestand vornehmlich aus Bauernhöfen sowie kleineren Handwerker- und Taglöhnerhäusern. Auch die wenig bemittelten Besitzer letzterer betrieben fast ausnahmslos in kleinem Rahmen Landwirtschaft und hatten Ställe, in denen zwei oder drei Kühe und vielleicht auch zwei Schweine standen, die im Bedarfsfall den kargen Speisezettel aufbessern oder verkauft werden konnten. Solche schlichten Gebäude standen 1852 auch in der Turnsee- und der Brombergstraße. Während die Brombergstraße an der Ostseite bereits relativ dicht bebaut war, gab es im abgebildeten Abschnitt der Turnseestraße nur ein einziges Haus.

Im Stadtplan von Bolia, der um 1875 erschien, findet man den seltenen Fall der Dokumentation einer „Korrektur“ eines Straßenverlaufs: Im Abschnitt der Turnseestraße südlich der Talstraße ist links noch der alte, geschwungene Verlauf der Straße schmal eingezeichnet, während der damals wohl bereits realisierte korrigierte Verlauf rechts daneben erscheint. In der Brombergstraße, die mittlerweile auch an der Westseite bebaut ist, fehlt ein solcher Vergleich. Vermutlich wurde sie bereits einige Jahre zuvor begradigt.

Die Brombergstraße punktet mit der Besonderheit, dass sich dort bis heute einige ganz wenige Häuser aus der Zeit der Pionierbebauung erhalten haben. Zu diesen zählt etwa das Haus Nr. 18, das mit seiner sehr schlichten Bauweise und dem großen Garten wie aus der Zeit gefallen scheint. Im nördlichen Bereich steht noch das Haus Nr. 5 auf extrem schmalem Grundstück, das noch älter sein dürfte.

Doch nicht nur das Alter mancher Häuser zeichnet die Brombergstraße aus, sondern auch die Fülle der besonderen und teils merkwürdigen Einrichtungen und Geschäfte, die dort zu finden waren oder noch heute zu finden sind. Eine über die Grenzen der Stadt hinaus bekannte Einrichtung war etwa der Lebensbedürfnis- und Produktivverein, dessen Zentrale sich lange in der Brombergstraße befand. Der Name des Vereins ist noch heute in großen Lettern auf der Fassade des Hauses Nr. 17 ablesbar. Das Prinzip des 1865 von Baumwoll- und Seidenfabrikant Mez gegründeten Vereins bestand darin, Lebensmittel und andere Güter des täglichen Bedarfs en gros einzukaufen und zu billigen Preisen an seine Mitglieder weiterzugeben – eine Art gemeinnütziger Supermarkt. Dieses Konzept war derart erfolgreich, dass der Verein permanent expandierte und schließlich in der Brombergstraße eine großangelegte Zentrale errichtete, zu der unter anderem eine Großbäckerei und eine Brennstoffhandlung gehörten. Die meisten Gebäude der Zentrale, die sich um einen Hof gruppierten, sind noch heute erhalten. Aus den vielen Verkaufs-geschäften des Vereins wurden später die „Konsumläden“, die in den 1970er Jahren vom gewerkschaftseigenen Unternehmen Coop übernommen wurden.

Schräg gegenüber (Nr.6) befindet sich eine Anlaufstelle für Haftentlassene im ehemaligen Gasthaus „zum Sternen“. Inwieweit letzteres mit dem legendären gleichnamigen früheren Wirtshaus am Sternwaldeck in Zusammenhang stand, konnte vom Verfasser bislang nicht geklärt werden. Über dem Eingang ist ein blechernes Vordach mit einem Stern angebracht.  Einen weiteren Stern als Hinweis auf ein ehemaliges Wirtshaus findet man an der Westfassade des großen Jugendstil- Eckgebäudes Zasiusstrasse 20/Brombergstraße 33. Es handelt sich dabei um ein „Hexagramm“, einen Brauerstern, der darauf hinweist, dass sich im EG des Gebäudes früher eine Gastwirtschaft mit Bierausschank und großem angegliederten Bühnensaal befand. In diesem „Saalbau Wiehre“ waren nach der Zerstörung des Stadttheaters im Zweiten Weltkrieg kurzzeitig die Kammerspiele untergebracht. Heute befinden sich in den umgebauten Räumlichkeiten das Café au Lait, eine Schmuckwerkstatt, ein Frisörgeschäft und der Optiker Saegner.

Noch Jahrzehnte nach dem Zweiten Weltkrieg gab es in der Straße eine Fülle von Handwerksbetrieben, Lebensmittelgeschäften und sogar produzierenden Betrieben, beispielsweise (Hausnummern in Klammern) die Fahrschule Hermann (2), die Süddeutsche Essig- und Senffabrik (7), die Schreinerei Lehmann (8), drei Blechnereien (11, 18, 20), die Buchdruckerei Mühlhans (15), die Gleichrichterbaufirma Zeh (17a), eine Autosattlerei (25) und ein Textilrestegeschäft (34). Eher moderne Einrichtungen, die aber ebenfalls längst Geschichte sind, waren ein Fachgeschäft für Jazzplatten (33) oder der nach Angaben der Betreiberin einzige Frauenbuchladen Deutschlands, in dem auch Männer willkommen waren (23).

Joachim Scheck

 

Ausschnitt aus dem nach Westen (oben) ausgerichteten Lerch-Plan von 1852 zeigt die ländliche, von Feldern und Wiesen geprägte Mittelwiehre mit der von oben bis unten durchlaufenden Talstraße. Davon links abzweigend unten die Brombergstraße, darüber die Turnseestraße. Ganz oben links die Kirchstraße. Rechts oben die Dreisam, links daneben der Kronenmühl-kanal und heuende Bauern. Repro: Scheck.

Knapp 25 Jahre später
zeigen sich bereits deutliche Anzeichen der Verstädterung. Die ersten raster-
artigen Straßenzüge sind bereits angelegt oder geplant (ohne Namen); Bromberg- und Turnseestraße sind begradigt. Repro: Scheck