Hollywood in der Unterwiehre

Hätten Sie das gewusst? Dass in den 20er und 30er Jahren des letzten Jahrhunderts in der Unterwiehre Filmstars ein- und ausgingen und hier Meisterwerke des deutschen Films entstanden, die noch heute unter Fachleuten höchstes Ansehen genießen? Das Haus Birkenweg 3, damals noch unter der Adresse Merzhauser Straße 100, war seit 1920 Sitz der Freiburger „Berg- und Sportfilm GmbH“; Luis Trenker und Leni Riefenstahl drehten in den großen Ateliers, die sich bis fast zur heutigen Langemarckstraße erstreckten. In den Anfangszeiten des Films war Freiburg also ein kleines deutsches Hollywood.
Hier war der Freiburger Filmproduzent und Regisseur Dr. Arnold Fanck zu Hause. Er genoss in dieser Zeit, in den 20er und 30er Jahren des 20. Jahrhunderts, einen Ruf, der dem eines Steven Spielberg von heute nicht viel nachstand. Gemeinsam mit seinem Kameramann Sepp Allgeier schuf Fanck Filme, wie sie die Welt noch nicht gesehen hatte:
Mit bisher ungekannten Landschaftsbildern voller packender Dramatik und an Orten gedreht, zu denen bis dahin noch keine Kamera gekommen war. Fanck gewann die berühmtesten Stars seiner Zeit als Darsteller; Luis Trenker und Leni Riefenstahl errangen in seinen Filmen Weltruhm. „Die weiße Hölle am Piz Palü“ wurde in Deutschland ein Kassenschlager und erlebte als erster deutscher Film 1930 im größten Kino der Welt, im „Roxy“ in New York, seine amerikanische Uraufführung.
Arnold Fanck, geboren am 06.03.1889 in Frankenthal, verbrachte seine Jugend zunächst in einem Schweizer Internat und kam 17jährig nach dem Tod des Vaters nach Freiburg. Nach dem Abitur am Bertoldgymnasium studierte der Sohn aus gutem Hause in München, Berlin und Zürich zunächst Philosophie, dann Chemie und Geologie. 1915 wurde er Doktor der Naturwissenschaften. Der begeisterte Wintersportler versuchte sich zunächst als Ski- und Bergfotograf und geriet darüber in das junge Filmmetier, das sich in Freiburg mit der „Express-Film Co. GmbH“ des Textilingenieurs und Kaufmanns Bernhard Gotthard etabliert hatte. Dort war auch Sepp Allgeier Kameramann geworden. 1913 drehten sie gemeinsam ihren ersten Hochgebirgsfilm am Monte Rosa und nach dem Krieg waren sie wieder mit ihrem schweren Gerät in den Bergen unterwegs. Sie kamen mit Bildern heim, die die Welt begeisterte: Skifahrer in rasender Abfahrt, durch Schneefontänen und in waghalsigen Sprüngen, auf blankem Eis – und das alles in effektvollem Gegenlicht, das die Kristalle glitzern ließ und den Bildern eine bis dahin nie gesehene Dramatik verlieh. Das „Wunder des Schneeschuhs“, ein Lehrfilm über den jungen Skisport, lief wochenlang im ausverkauften Paulussaal.
Den Lehrfilmen folgten bald Spielfilme, die heute noch zu den filmischen Kostbarkeiten zählen. „Der Berg des Schicksals“, „Der heilige Berg“, „Stürme über dem Mont Blanc“ oder „SOS Eisberg“ mit dem Fliegerhelden Ernst Udet sind nur die bekanntesten. Fanck und Allgeier wurden Vorbilder für ganze Generationen von Filmern, und in der ganzen Welt stürmte das Publikum in die Kinos, um ihre Filme zu sehen.
Im Dritten Reich ließen es Arnold Fanck und Sepp Allgeier an der Distanz zu den Nazis fehlen. Ihre Filme aus dem Dritten Reich, technisch wie cineastisch von höchstem Niveau, wurden Teil der Propagandamaschine der braunen Machthaber, und Fanck und Allgeier waren Helfer hinter der Kamera. Der Parteitagsfilm „Triumph des Willens“ von Leni Riefenstahl und Sepp Allgeier als Chefkameramann ist bis heute unter Verschluß. Das Kriegsende beendete jäh die glanzvollen Karrieren. Der Südwestfunk berief zwar 1953 Sepp Allgeier zum Chefkameramann, aber mit dem neuen Medium Fernsehen mochte der sich nicht mehr anfreunden. Arnold Fanck schlug sich zunächst als Waldarbeiter, dann mit Zeitungsartikeln, Drehbüchern und Vorträgen durch. Ein Neuanfang im Filmgeschäft gelang nicht mehr. 1973 erschien seine Autobiographie. „Er führte Regie mit Gletschern, Stürmen und Lawinen“.
Arnold Fanck starb am 28.09.1974 in Freiburg, 1998 wurde im Stadtteil Haslach eine Straße nach dem Filmpionier benannt.
Und was ist aus den Ateliers an der Merzhauser Straße geworden? 1930 übernahm die UFA Fancks Unternehmen und gab den Standort Freiburg wenig später auf. In die Hallen zog eine Firma ein, die Serumprodukte herstellte. Danach war hier ein Galvanisierungsbetrieb zu Hause, der unrühmlich von sich Reden machte: Er wurde Freiburgs erster Umweltskandal. Die Hallen wurden abgerissen; Anfang der 80er Jahre wurde eine kleine Stadthaussiedlung gebaut. Das frühere Bürogebäude ist seither ein Wohnhaus.
Walter Preker