Nach den erschütternden Ereignissen in Israel Anfang Oktober 2023 fiel beim Gedenken an die Opfer öfter der Satz: „Nie wieder ist jetzt!“. Für ein „Nie wieder!“ braucht es weiterhin Erinnerung. So wollte der schon lange vom Bürgerverein und der jüdischen Gemeinde Freiburg geplante Vortrag einen kleinen Beitrag zu dieser Erinnerungsarbeit leisten. Der Abend am 25.10.23 war die erste gemeinsame Veranstaltung eines Freiburger Bürgervereins mit der jüdischen Gemeinde.

Vortragende waren Andreas Meckel, Publizist und Marlis Meckel, Initiatorin von STOLPERSTEINE in Freiburg.

Zunächst eine kurze Zusammenfassung des Vortrages von Andreas Meckel: Im Jahr 1008 wurde die Wiehre erstmals urkundlich erwähnt, ein kleiner Weiler, der damals schon durch seine Lage an wichtigen Fernwegen wirtschaftlich bedeutend war. Die Anwesenheit jüdischer Menschen in Freiburg ist erstmals 1230 bezeugt. Sie waren, von anderen Berufen ausgeschlossen, vorwiegend als Geldwechsler und- verleiher tätig, da es Christen durch das sogenannte „Zinsverbot“ untersagt war, Geldgeschäfte zu tätigen. Im 13. und 14. Jahrhundert kam die Wiehre in den Herrschaftsbereich der Stadt Freiburg und damit zur Übernahme des Freiburger Stadtrechtes. Trotzdem blieb der Wiehre eine gewisse Eigenständigkeit.

Im Jahr 1349 fand ein schreckliches Pogrom gegen die jüdische Einwohnerschaft statt, man machte sie für die noch nicht einmal ausgebrochene Schwarze Pest verantwortlich. Dies war auch Anlass, sich am beträchtlichen Vermögen der Freiburger Jüdinnen und Juden zu bereichern. Zudem verloren sie ihr Wohnrecht in der Stadt. Es folgte eine Epoche der Judenfeindlichkeit bis zu Beginn des 19. Jahrhunderts. Geschäfte zwischen Personen jüdischen Glaubens und Christ*innen waren verboten, worüber sich die Freiburger Bevölkerung bald hinwegsetzte. Jüdische Besucher*innen durften sich nur tagsüber in der Stadt aufhalten, immer begleitet von einem Stadtknecht, eine explizite Demütigung. Die einzige Möglichkeit, sich vor Öffnung und nach Schließung der Stadttore in der Nähe Freiburgs aufzuhalten, bestand in der Wiehre. Dort waren ihnen Übernachtung und mit der Zeit auch längere Aufenthalte erlaubt. Entsprechend einer königlichen Verordnung mussten jüdische Menschen ab 1551 einen gelben Tuchring auf der linken Körperseite tragen, der fatale Vorläufer des späteren „Judensterns“. Hier muss auch Ulrich Zasius (1461 – 1535), ein bedeutender Rechtsgelehrter der Universität erwähnt werden, der in seiner Neugestaltung des Stadtrechtes von 1520 die Personen jüdischen Glaubens explizit diskriminierte: er empfahl „so grimmige Bestien auszustoßen“.

In der nach ihm benannten Zasiusstraße lebten später viele jüdische Familien, es sind allein dort 31 Stolpersteine verlegt.

Im Jahr 1806 wurde Freiburg badisch; es begann eine Entwicklung, die zur bürgerlichen Gleichberechtigung von Angehörigen des Judentums führte. Sie durften sich wieder in der Stadt niederlassen, erhielten volle bürgerliche Rechte und Freiheiten und entwickelten wirtschaftliche Aktivitäten. In der Kronenmattenstraße entstand eine Lederfabrik, in der Brombergstraße eine Bürstenfabrik und in der Silberbachstraße eine Säckefabrik. Es gab jüdische Textil-, Leder-, Schuh-, Wein- und acht Viehhandlungen. Auch nach der Wandlung zu einem gehobenen Wohnquartier behielt die Wiehre ihren gewerblichen Charakter, dann vor allem auf die Hinterhöfe konzentriert.

Es veränderte sich auch die Zusammensetzung der jüdischen Bevölkerung. Unternehmer, Akademiker und Bankiers zog es in den neugestalteten Stadtteil. Bekannte Professoren der Universität wie der Philosoph Edmund Husserl, der Mathematiker Alfred Loewy, der Volkswirt Robert Liefmann wie auch Edith Stein lebten in der Wiehre.

Ab 1933 änderte sich die Lebenssituation der jüdischen Bürger*innen auf unheilvolle Weise. Sie hatten unter Ausgrenzung, Entrechtung und Verfolgung zu leiden. 1939 gab es in Freiburg kein jüdisches Geschäft und keinen Betrieb mehr. Endpunkt dieser Entwicklung war die Deportation von 100 jüdischen Bürger*innen der Wiehre am 22. Oktober 1940 ins südfranzösische Konzentrationslager Gurs.

Ein Gedenktafel erinnert seit 2006 am Annaplatz, dem damaligen Sammelpunkt, an die Deportation.

Auch nach dem Krieg fühlten sich die wenigen Überlebenden in Freiburg nicht willkommen. Von offizieller Seite lud niemand sie ein, in ihre Heimatstadt zurückzukehren. So ließ die Tochter des jüdischen Rechtsanwaltes Dr. Homburger 1945 die wenigen Überlebenden aus Theresienstadt mit einem Omnibus nach Freiburg zurückzuholen. Im zweiten Teil des Abends wurden von Frau Marlis Meckel, die seit 20 Jahren die Verlegung der Stolpersteine in Freiburg plant und begleitet, zahlreiche Schicksale jüdischer Familien in bewegender Weise dargestellt. Es soll hier exemplarisch über wenige Familien berichtet werden.

So war Dr. Emil Homburger aus der Goethestraße ein angesehener Rechtsanwalt in Freiburg. 1933 verlor er seine Zulassung als Rechtsanwalt. Zunächst geschützt durch seine Ehe mit einer katholischen Frau konnte er anderen bei der Flucht helfen. Er hoffte auf ein baldiges Ende der Naziherrschaft. Wie viele, hielt er diese für eine vorübergehende Erscheinung. 1944 wurde er deportiert, 1945 in Buchenwald ermordet.

Dr. Felix Kurt Rawitscher aus der Kronenstraße, Dozent an der Universität und Leiter des Botanischen Gartens, hatte die unheilvollen Zeichen des Nationalsozialismus frühzeitig erkannt. 1934 folgte er einer Einladung zu einer Dozentur in São Paulo und übersiedelte mit Frau und zwei Kindern nach Brasilien. Sie überlebten dort den Krieg, die Eltern kehrten 1952 nach Deutschland zurück,

Ein tragisches Schicksal erlitten Johanna Weinheim und ihre 6-jährige Tochter Renee aus der Talstraße. Das Ehepaar Weinheim hatte einen Betrieb für Garne und Spinnereiabfälle. Selbst kinderlos, adoptierten sie ein kleines jüdisches Mädchen. Nach dem Tod von Richard Weinheim wurde der Betrieb „arisiert“, d.h. unter beschämenden Bedingungen verkauft. Johanna Weinheim konnte sich und ihre Tochter eine Zeitlang vor der Deportation schützen, indem sie dem Mädchen fieberstimulierende Arznei verabreichte. Eine Flucht über die Schweizer Grenze wollte sie dem schwächlichen Kind nicht zumuten. 1942 wurden beide deportiert und in Treblinka ermordet.

Als letzte sei Familie Leo und Hannchen Herborn aus der Scheffelstraße erwähnt, die dort ein Geschäft betrieben. Die Familie wurde mit ihren beiden Söhnen und ihrer Sekretärin, Maria Platz, 1940 nach Gurs deportiert und 1942 in Auschwitz ermordet. Für sie wurden 5 Stolpersteine vor der Scheffelstraße 19 verlegt. Diese sind die einzige Erinnerung an die Familie, die sonst keine Nachkommen hatte.

Jeder der mehr als 200 Stolpersteine, die in der Wiehre bisher verlegt wurden, ist ein namentliches Denkmal, unter dem berührende Geschichten über Menschen ruhen, die Mitbürgerinnen und Mitbürger waren.

So stolpern wir gelegentlich über einen Stolperstein, lesen die Namen und vergessen nicht.

Die Beispiele sind entnommen aus: Marlis Meckel, Den Opfern ihre Namen zurückgeben · Stolpersteine in Freiburg (Rombach 2006, 292 Seiten)

Gabriele Denz-Seibert