Veränderungen, die die Alltagsroutine betreffen und den Status quo bedrohen, fallen einem nicht leicht. Es bedarf einiger Anstrengung und Überwindung, Veränderungen in den Alltag zu integrieren. Zumal es eine gewisse Skepsis nur schwer zulässt, sich überhaupt auf Veränderungen einzulassen. Routinen und Rituale schaffen in unserem Leben eine vertraute Umgebung, in der wir uns wohlfühlen.

Ganz anders sieht es jedoch aus, wenn wir uns bewusst dazu entscheiden, unsere Alltagsroutinen hinter uns zu lassen und bereit sind, Neues zu entdecken. Abenteuerlust und Neugierde begleiten unsere Erfahrungen und Erlebnisse: Der Urlaub hat begonnen. 

Mich hat es diesen Sommer an die französische Atlantikküste verschlagen, genauer gesagt in die Stadt des edlen Weins: Bordeaux. Natürlich konnte ich die Stadt nicht ohne meine „Freiburger Brille“ betrachten, d.h. ohne das Stadtbild und die Verkehrssituation von Bordeaux mit der meines badischen Städtles zu vergleichen. Bordeaux (250.000) hat nämlich ungefähr gleich viel Einwohner wie Freiburg (230.000) und hat es in kurzer Zeit geschafft, die Stadt für den öffentlichen Nahverkehr und den Fuß- und Radverkehr fit zu machen. Allerdings ist die Einwohnerdichte in Bordeaux um den Faktor von 3,5 höher als in Freiburg und ähnelt mir eher der Einwohnerdichte der Wiehre als der der gesamten Stadt Freiburg. Wie also hat Bordeaux es geschafft, eine so fahrradfreundliche Stadt zu werden, dass sie auf dem „Copenhagenize Index“ auf Platz 6 der fahrradfreundlichen Städte Europas landen konnte?

Schnell ist mir aufgefallen, dass die ganze Stadt von einem Netz aus Einbahnstraßen überzogen ist. In der dicht besiedelten Stadt mit ihren schmalen Straßen haben die Einbahnstraßen dazu beigetragen, dass nun zusätzlicher Platz für Fahrradspuren vorhanden ist. Außerdem haben die Rad-fahrer*innen die Möglichkeit, die Einbahnstraße in beide Richtungen zu befahren. Meiner Wahrnehmung nach ist so in den schmalen Straßen genug Platz für Autos, Fahrräder und Menschen, die zu Fuß unterwegs sind. Bei mir stellte sich sofort der Gedanke ein, dass solch ein Einbahnstraßensystem auch gut bei uns in der Wiehre funktionieren könnte – speziell in der Erwin- und Zasiusstraße könnte man mit abgegrenzter Fahrradspur den Fahrradverkehr in beide Richtungen öffnen.

Ein weiterer Punkt, der einem sofort auffällt, ist das geringe Parkaufkommen in den Stadtteilen bzw. das schnelle Finden freier Parkplätze. Der Blick auf den Parkautomaten lässt sofort den Grund erkennen. Kurzparken von einer halben bis zu einer Stunde kostet ein bis drei Euro. Dann allerdings steigen die Kosten rapide bis zu einer maximalen Parkdauer von 4:15 Stunden zu einem Preis von 30 bis 35 Euro je nach Parkzone. Bordeaux hat es geschafft, die parkenden Autos in der Stadt zu reduzieren und der Effekt ist sofort spürbar: Die Straßen wirken trotz ihrer Enge luftig und übersichtlich.

Die hohe Dichte an parkenden Autos bei uns in der Wiehre ist für uns Bürgerinnen und Bürger schon zur Normalität geworden und dennoch lohnt es sich weiter darüber nachzudenken, wie es sein könnte, wenn man nicht mehr auf sein direkt vor der Haustür zu einem Preis von 30 bis 35 Euro je nach Parkzone parkendes Auto angewiesen sein muss. Dass es möglich ist, beweist Bordeaux auf ganz angenehme Weise. Die Stadt Freiburg will diese Herausforderung gerade durch die Neugestaltung der Parkraumbewirtschaftung angehen, wobei spannend bleibt, wie diese Neugestaltung unseren Stadtteil prägen und verändern wird.

Einen letzten Eindruck, den ich in meinem Urlaub in der schönen französischen Stadt außerdem gewonnen habe, ist, dass die Menschen dort eine generelle Akzeptanz gegenüber unterschiedlichen Fort-bewegungsmitteln aufzeigen. Selbstverständlich entstehen auch hier sehr brenzlige Situationen zwischen den Verkehrsteilnehmer*innen. Allerdings versucht die Stadt durch kleine Maßnahmen (extra Ampeln für den Rad-verkehr, Beschilderung fürs erlaubte Rechtsabbiegen bei roter Ampel für Fahrräder, kulturelle Veranstaltungen wie zum Beispiel autofreie Sonntage in der Stadt gepaart mit kostenlosen Eintritten in Museen), die Akzeptanz füreinander und die Umstellung auf den nicht-motorisierten Individualverkehr zu unterstützen. Außerdem leiht die Stadt allen Einwohner*innen ein kostenloses Fahrrad für den Stadtverkehr. Das alles sind wichtige Schritte in Richtung einer nachhaltigen Mobilität, die außerdem zu einer Wohlfühlatmosphäre in der Stadt beitragen.

Der Bürgerverein bleibt deshalb am Thema der nachhaltigen Mobilität bei uns im Stadtteil weiter am Ball und gestaltet diese aktiv mit, wie zum Beispiel durch den Vororttermin mit Herrn Schmitt-Nagel von der Stadtverwaltung (Abteilung Verkehrsplanung) am 5. Juli 2021 an der Ecke Peter-Sprung-Straße/Dreikönigstraße sowie an der Ecke Lorettostraße/Schlierbergstraße, die Unterstützung des Pop-Up-Boulevard des Fuß- und Radentscheids vom 13. Juni 2021 oder der Start der Zusammenarbeit mit dem BV Oberwiehre für ein einheitliches Verkehrskonzept in der gesamten Wiehre. 

Über die Veranstaltung „Straßen für Menschen – Superblocks für Freiburg?“ am 6. September 2021 18 – 20 Uhr am Alten Wiehrebahnhof in Zusammenarbeit mit dem Ortsverbund von Bündnis 90/Die Grünen Freiburg werden wir im nächsten Journal berichten.

Markus Ohler