Netzwerker offline gesucht: Hallo Nachbarn
Er war schon immer da, so meine ich zumindest. Unbeachtet, ungenutzt und schon Jahre ohne schützendes Scheibenglas dem Verfall preisgegeben, stand er inmitten einer Hecke am Rand des Bürgersteigs. Irgendwann, lassen wir es mehr als zwei Jahre her sein, lagen in dem mit verblichenem rotem Samt ausgeschlagenen Schaukasten dann plötzlich ein paar Bücher. Da hatte jemand – Mann oder Frau – eine Idee und damit den Anfang gemacht für einen seitdem sehr regen, unkomplizierten Büchertausch in unserer Straße.
Kaum jemand geht heute an dem Kasten vorbei, ohne inne zu halten und zu schauen, was heute wieder für ihn hinterlegt ist. Die Auswahl ist so bunt und anregend wie unser Viertel, und die durchschnittliche Verweildauer der Bücher im Kasten ist häufig nur in Stunden und nicht in Tagen zu zählen.
Gängige KrimiautorInnen, broschiert, häufig aber auch gebunden (aha, es gibt auch andere, die die Paperback-Ausgabe nicht abwarten konnten) stehen da neben Sach-, Reise- oder Kochbüchern. Der Ratgeber, wie ich mein Leben vereinfachen kann, findet sich neben aktuellen „ausgelesenen“ Wochenzeitschriften und den klassischen Romanen vergangener Jahrhunderte (ja, auch der Simplizissimus fand schnell seinen nächsten Leser!). Im Anblick vieler Titel frage ich mich immer wieder, wer aus der nächsten Umgebung die wohl hineingestellt hat. Einige der dort liegenden Bücher habe ich, über Jahrzehnte gesammelt, selbst noch im Regal und in der näheren Umgebung gibt es wohl etliche Menschen ähnlichen Jahr- oder auch Studiengangs, denen es besser gelingt, sich von Büchern auch wieder zu trennen. Diese als Vorbild habe ich mittlerweile einen nicht unerheblichen Anteil meines Bücherschatzes auch schon in die Kiste gelegt – nun ja, eher eingetauscht, denn ich trage meist auch etwas wieder weg und schicke der unbekannten Spenderin für die „Buchempfehlung“ ein paar freundliche Gedanken.
Neben der spontanen Einrichtung dieses öffentlichen Bücherschrankes hat es sich auch „eingebürgert“, kleinere Gegenstände, die man nicht mehr braucht, mit einem „zu verschenken“ Zettel an die Straße zu legen.
Auch diese finden nach meiner Beobachtung in der Regel schnell Mitnehmer.
Angesichts dieser unkomplizierten Teilhabe am Tauschmarkt mit meinen Nachbarn mag mich das neue Netzwerk, nebenan.de, für dessen Teilnahme neulich in einer großen Briefkastenaktion geworben wurde, nicht unter Preisgabe meiner persönlichen Daten locken. Eine bessere Vernetzung als die oben beschriebene zum „Tauschen, Leihen, Schenken“ brauche ich nicht. Trotzdem mag eine solche Webseite wie www.nebenan.de einige Sogwirkung haben. Immerhin kann ich von mir unbekannten Menschen im ganzen Quartier online nachlesen, wie sie heißen, welche Interessen sie haben und wie sie ihren Nachbarn gerne helfen würden. So habe ich von Nutzern erfahren, dass es im Quartier nur so von bekennenden Paketeannehmern und stellvetretenden Blumengießern zu wimmeln scheint. Nur stellt sich mir hier die Frage, ob ich meinen Nachbarn „eine Tür weiter“ meine „punktuelle Unterstützung“ wirklich online mitteilen muss? Wie wäre es mit einem beherzten Klingeln oder einem freundlichen Ansprechen bei der Begegnung vor der Haustür – wenn nicht schon längst geschehen?
Eigentlich sehe ich nur eine Bedürfnislücke, die diese GmbH aus Berlin jüngst auch mit Unterstützung von Burda wirklich besser zu schließen verspricht: Das Finden von Gleichgesinnten oder Interessensgemeinschaften nach dem Prinzip der kurzen Wege.
Aber vielleicht braucht es hierzu nur einen veröffentlichten Termin, um sich auch offline gut nachbarschaftlich zu vernetzen?
Einen Versuch wäre es wert. Also schlage ich vor:
Am Samstag, den 15.10. 2016, 17:00 Uhr
treffen sich Interessenten an Lauftreffs, Literaturkreisen, gemeinsamen Spiele-, Koch-, oder Tatortabenden sowie weiteren Angeboten gemeinsamen Tuns am Annaplatz. Diejenigen, die für Ihre gesuchte Gruppe auch für ein erstes Treffen ihre Wohnungstür öffnen möchten, bringen einfach eine kleine Laterne oder ein Windlicht mit. Wer sich schon vorher zwecks näherer Absprachen melden will, kann das gern bei uns tun!
Und wer an diesem Termin verhindert ist, kann sein Gesuch oder Angebot in den roten Bücherkasten hängen. In diesen lege ich jetzt gleich auch ein kleines Briefchen: Ich möchte die Spender vom Simplizissimus und den Cees Nooteboom-Büchern sehr gern mal zum Tee einladen.
Loretta Lorenz
P.S. An dieser Stelle ein herzliches Dankeschön an die Eigner, die Initiatoren und die Bestücker der Bücherbox.