Vor 150 Jahren hätten sich die Gründungsväter des Bürgervereins Wiehre nicht träumen lassen, wie ihr ländliches Stadtviertel im Jahre 2025 aussieht. Aber sicher hatten sie eine Vision, für die sich ihr Engagement lohnte. Der Beginn eines neuen Jahrhundertquartals ist ein guter Moment, uns eine Zukunft auszumalen, für die es sich lohnt, mit-zumachen. Wie könnte unser Leben in der Wiehre also aussehen, wenn wir die Phantasie ein wenig blühen lassen?

Es ist ein heißer Sommertag, doch unter den breitkronigen Maulbeerbäumen und Silberlinden ist es schattig und angenehm kühl. Ute und Andreas laufen in Richtung Johanneskirche. Auf dem grünen Stadtteilplatz mit der großen Pergola ist heute Tauschbörse – immer eine gute Gelegenheit alte Bekannte zu treffen und das Neuste aus der Nachbarschaft zu erfahren. Andreas ist nicht mehr so ganz sicher auf den Beinen und hat sich bei Ute untergehakt. Zum Glück ist die Laufzone breit genug, dass sie dem entgegenkommenden Kinderwagen nicht ausweichen müssen. Seitdem man ihre Straße zu einer Gemeinschaftsstraße umgestaltet hat und es nicht mehr so viele Autos gibt, gehört die Straße den Fußgänger*innen.

Die schwüle Luft trägt den Duft warmer Erde durch die Straße. Vom schweren Gewitter vor ein paar Tagen ist nichts mehr zu sehen. Die Bäume scheinen sich eher über das viele Wasser zu freuen, das in ihre großen Baumscheiben reichlich gewässert hat und zwischen den Blumen in dem bunten Pflanzbeet gaukeln Bienen und Schmetterlinge. „Zum Glück gibt es nicht mehr diese fürchterlichen Überschwemmungen, wenn es regnet,“ freut sich Ute. Andreas hat es nie ganz verschmerzt, dass seine Plattensammlung im Keller vor Jahren ein Opfer der Überflutung geworden ist. Bei jedem Flohmarkt sucht er heimlich nach seinen alten Schätzen.

Vor einem der Häuser stehen Hochbeete mit Kräutern und Johannisbeeren. Ein kleines Mädchen nascht ein paar Beeren und düst mit ihrem Roller weiter zu ihren Freunden. Die Kinder sitzen an einem der Freilufttische und genießen ihr Vesper, ein Krug mit frischem Wasser steht zwischen den Bechern. Sie lachen miteinander und man hört das Gezwitscher der Vögel in den Baumkronen. Uta gefallen die grünen Halsbandsittiche, die seit einiger Zeit zum Freiburger Stadtbild gehören. Kletterpflanzen ranken sich an Seilen vor den Hauswänden empor, das Laub schützt die Südfassaden vor zu viel Sonne und sorgt für kühle Luft.

„Hallo, Ihr beiden!“ Paul winkt von seiner Rikscha herüber: „Wollt Ihr mitfahren?“ Uta und Andreas nehmen das Angebot gerne an und steigen ein. Der Service ist kostenlos und verbindet jeden Haushalt mit der Quartiersgarage im Osten, aber in den Pfingstferien hat Paul wie immer wenig zu tun. Alle Einkäufe lassen sich gut zu Fuß erledigen und überall stehen Handkarren für Schweres zur Verfügung. „Wenn Ihr ein bisschen Zeit habt, fahre ich noch schnell bei den Bühlers vorbei,“ schlägt der junge Mann vor: „Ich habe für ihre Kinder ein paar Badesachen dabei und will sie noch vorbeibringen.“

„Klar, als Rentner haben wir keine Eile,“ witzelt Andreas und nimmt einen Schluck aus seiner Wasserflasche. Er besucht gerne die Familie, die jetzt in seiner und Utes ehemaliger Wohnung lebt. Nach dem Auszug der Kinder war die Altbauwohnung zu zweit plötzlich viel zu groß geworden. Über die Plattform ‚Wohnglück’ fanden sie in den Bühlers mit ihren drei Kindern die richtigen Tauschpartner. Dafür haben Andreas und Ute jetzt eine ebenerdige Terrasse und müssen keine Treppen mehr steigen.

Paul biegt in die Talstraße ein und radelt gemächlich unter den Obstbäumen entlang, die ersten Früchte sind schon zu sehen. Seit der Verkehrsumleitung vor einigen Jahren ist die Straße ein grüner Boulevard geworden. Die vereinzelten Autos, die in Schrittgeschwindigkeit unterwegs sind, lassen die bunte Rikscha passieren. Im Park vor dem Altenheim sitzt eine Gruppe mit Instrumenten auf Gartenstühlen und übt ihre Musikstücke. Einige Passanten und Kinder sind stehen geblieben und hören zu. „War hier früher nicht dieser Parkplatz?“ fragt Andreas. Ute schaut ihn belustigt an und lehnt sich entspannt zurück: „Das ist aber schon ganz schön lange her, mein Lieber. Wer hätte damals gedacht, dass die Wiehre sich so verändern kann!“

Katja Richter